Freitag, 26. Dezember 2008

Israels Weihnachtsgeschenke an die Palästinenser

Bild: 'Into the Sea' Anis Hamadeh. exh. Mainz März/2008


Israels Weihnachtsgeschenke an die Palästinenser: mehr Siedlungen, Entzug der Jerusalemausweise, Kriegsdrohung, Ghetto Gaza

Israel lässt wieder Waren in den Gazastreifen – wie großzügig! Trotz der Raketenangriffe aus Gaza! Wie menschenfreundlich!
So macht es sich am besten: zunächst ist der ‚Feind‘ schuld, dann zeigt man seine einmalige Geste und die Welt klatscht dazu Beifall.
Dabei pfeifen es die Spatzen von Tel Aviv‘s Dächern schon seit Wochen, dass eine große militärische Bewegung bevorsteht, dass Militär gen Süden zusammengezogen wird und eine Art Mobilisierung in Gang ist. Da kommen die Raketen gerade zu pass… Und auch wenn diese fatal sind, so sind sie doch im Auge der Unterdrückten zumindest ein Ausdruck von Gegenwehr gegen etwas übermächtig und nicht erschütterbar Erscheinendes: die israelische Dauerbesetzung, Absperrung, Austrocknung und Zerstörung des alltäglichen Lebens im Gaza Ghetto – dem größten ‚Freiluftgefängnis‘ der Welt, wie es manche nennen.
Seit Wochen kein Strom, kein Gas, es fehlt am alltäglichen, es kommen keine Waren mehr. Zum Opferfest – dem großen Fest, an dem die Familien wie zu Weihnachten zusammenkommen, zusammen essen, die Kinder beschenkt werden, wenigstens mit der neuen Schulkleidung und dem nötigsten, das noch Freude macht – es gab kaum etwas zu kaufen, zu schenken. Eine Bevölkerung von 1,5 Millionen wird seit Jahren unter Arrest genommen, kollektiv bestraft für eine Regierung, die von ihr gewählt wurde (und nicht nur in Gaza), weil sie nicht so korrupt schien wie die vorherigen, weil sie Widerstand und nicht Kollaboration mit Israel und Amerika versprach, und weil sie sich auch für Verhandlungen bereit erklärte, aber ohne Vorbedingungen und mit aufrechtem Gang.
Gaza - 60 Jahre Nakbe und Opfer Israelischer Bomben
Es ist nicht das erste Mal, dass die Bevölkerung von Gaza Ghetto in solch prekärer Lage war. Kein Wunder, denn in diesem kleinen Teil der Erde ist seit der Entstehung Israels das Elend zu Hause. Dreiviertel der Bevölkerung sind von ihrer Herkunft Flüchtlinge und etwa die Hälfte von ihnen lebt noch in den von der UNWRA errichteten Lagern, über die Henryk M Broder so cool am 08.05.08 in spiegel online unwidersprochen schreiben darf: "Das Problem der Palästinenser ist nicht, dass sie vertrieben wurden, sondern dass sie nicht weit genug vertrieben wurden. Viele von ihnen leben in "Lagern" und können mit bloßem Auge dahin schauen, wo ihre Eltern und Großeltern mal gelebt haben." ‚Tihur‘, ‚Bihur‘, oder auch ‚Nikkuy‘, – verschieden gebrauchte hebräische Worte für ‚ethnic cleansing‘ (Reinigung) - war die offizielle Parole für die Milizsoldaten der Alexandroni, der Golani und der Carmeli Brigade der Irgun und Hagana, die allein in der ‚Operation Hametz‘ am 29. April 1948 die Dörfer Beit Dajan, Kfar Ana, Abbasiyya, Yahuddiyya, Saffuriya, Khayriyya, Salama und Yazur in der Region Jaffa und in Jaffa selbst die Vororte Jabalya und Abu Kabir zerstörten und die Bevölkerung töteten oder vertrieben. Mitte Mai ‚vollendeten‘ Irgun und die Qiryati Brigade die ‚Säuberungsaktion‘ im Süden Jaffas. (Pappe 2007: 139ff) Tausende Palästinenser, Alte, Frauen und Kinder flohen in Panik zu Fuß und auf Booten in alle Richtungen, auch nach Gaza. Die letzten Aktionen der ethnischen Säuberung von Oktober bis Dezember 1948 galten dem Süden, dem Negev, Bersheeba und der Gaza Küste, wo die israelische Armee auf englische und ägyptische Truppen traf. Bersheeba’s Einwohner und die der Nachbardörfer wurden Richtung Gaza und Hebron vertrieben. Die Bevölkerung von Isdud (heute Ashdod) und Majdal (heute Ashkelon) wurde nach Gaza deportiert, der größte der Beduinen Stämme aus dem Negev, die Tarabins, wurden nach Gaza vertrieben, der Tayaha Stamm wurde zur Hälfte nach Gaza deportiert, die übrigen erneut 1950 und 1954 Opfer einer Vertreibungsaktion der Einheit 101, geführt von Ariel Sharon. Ende 1948 waren 90 Prozent der Bevölkerung des Südens, die dort über Jahrtausende zu Hause waren, vertrieben und getötet. (:193 ff)

„Die Bevölkerung von Gaza, Flüchtlinge genauso wie die ursprünglichen Bewohner, sind die Opfer der längsten Geschichte dauernder israelischer Luftangriffe und Bombardements, von 1948 bis heute“, resümiert Ilan Pappe über diesen Teil israelischer Geschichte (:1914).
Das Elend in Gaza war und ist wenig bekannt gemacht. Ich habe in meiner Zeit zwischen 1997 und 2000 in den UNWRA Lagern, Jabalya, Rafah oder Khan Yunis so unbeschreiblich traurige Fälle von Armut, Krankheit und Verzweiflung gesehen: Tausende von Kakerlaken im Sand zwischen den Häusern, psychisch Kranke, auf Matratzen dahin vegetierend, Sauerstoffflaschen vor den Hauseingängen wegen der Asthmaanfälle fast aller Familienmitglieder – und die UNWRA Leitung kommentierte dazu: wir haben nicht genug Geld um allen zu helfen, die Großmächte, vor allem die USA zahlen nicht einmal ihre Pflichtbeiträge…

Heute werden Journalisten daran gehindert hineinzukommen, damit die noch schwieriger gewordene Lage nicht nach außen dringen kann; wer darüber berichten möchte, bekommt seine Artikel nirgendswo unter. Es macht sich besser, von Israel’s großzügiger Geste zu sprechen und die Ursachen für Raketenangriffe zu verschweigen. Und auch zu verschweigen, was noch geschieht:
· Adli Yaish, Bürgermeister von Nablus berichtet auf der Konferenz gegen die Mauer am 25.12. in Nablus von den täglichen Attacken Israelischer Soldaten mitten im Zentrum von Nablus und einem unglaublich schnellen Anwachsen israelischer Kolonien in der Region;
· Die Bewohner von Anata, einem Stadtteil Jerusalems, der durch die Mauer abgetrennt wurde obwohl sie Israelische Ausweise haben, berichten davon, dass Israel ihre Ausweise zurückfordert und gegen Plastikchips mit ihrem Fingerabdruck eintauschen und sie so ihrer Jerusalemer Identität berauben will.
Gaza Ghetto - Pilotprojekt?
Gaza Ghetto ist zum Pilotprojekt für die anderen Regionen Palästinas in der West Bank geworden: zuschnüren und bis zum völligen Verzicht auf nationale Rechte und Ambitionen die Bevölkerung niederknüppeln. Die Mauer/der Zaun geben den Verlauf dieses Prozesses vor, die Vertreibung der israelischen Palästinenser hinter die Mauer wird noch folgen. Raketenangriffe? David gegen Goliath? Ich sehe nur Goliath: hochbepanzert, mit modernsten Waffen und Milliarden aus den reichen Ländern der Welt ausgerüstet, hochmütig, mitleidslos, brutal, alle humanitären und international verabredeten moralischen Prinzipien verachtend und das Völkerrecht mit Füßen zertretend.
Ilan Pappe (2007): The ethnic cleansing of Palestine. Oneworld Publication Limit. Oxford
in Ergänzung: mail, die mich am 9.12. erreichte:

The Israeli economic warfare against the Palestinians reaches a new peak. Allegedly the Israeli government wishes to strengthen the Palestinian Authority in its war against the Hamas, but most of the civil servants in Gaza that will not get their salaries before the Muslim holiday are PA employees and not of the Hamas.

The Israeli blockade is a very deadly instrument and is one of the main reasons why it is correct to call Gaza strip a ghetto.

Observing the debate by the Israeli elite it is clear that there is one very dominating desire: to launch a big military operation.

How this operation might look is e.g. to be understood from a paper written by Colonel (Res.) Gabriel Siboni and published by the Tel Aviv University's Institute for National Security Studies. Siboni believes that the answer to rocket and missile threats from Syria, Lebanon and the Gaza Strip is “a disproportionate strike at the heart of the enemy's weak spot, in which efforts to hurt launch capability are secondary. As soon as the conflict breaks out, the IDF will have to operate in a rapid, determined, powerful and disproportionate way against the enemy's actions.” (See in Ha’aretz from Oct 5th., IDF plans to use disproportionate force in next war
http://www.haaretz.com/hasen/spages/1026539.html)

Olmert said recently that the question about the big operation in Gaza is not if it will take place, but when it will be carried out. In the framework of the election campaign the "moderate" foreign minister Tzipi Livni calls now for a big attack now.

On December 1st. The World Tribune, that is sometimes very well informed, published on the other hand that U.S. leaned on Israel not to invade Gaza during economic crisis (http://www.worldtribune.com/worldtribune/WTARC/2008/me_israel0755_11_30.asp ).
und 12.12.08
"The Israeli TV Channel 10 reports that the Israeli army intensified its preparations for a big operation in Gaza. Reservists have been mobilized and there are more troops trainings.

Channel 10 claims that these are the Israeli preparations for an eventual finish of the existing ceasefire which is going to end formally on December 19th. At the same time the TV stations expert for Arab issues, Tzvi Yehezekli estimates that Hamas is interested in continuing the ceasefire and therefore there is no danger from this side that the ceasefire will collapse.

At the same time while Kadima Party dropes in the polls, its head, FM Tzipi Livni radicalizes her position and calls for the big operation….
One effective way to prevent the catastrophe might be supporting, propagating and making known the following call on Israeli soldiers to prevent war crimes: http://www.arendt-art.de/deutsch/palestina/texte/aufruf_israelische_soldaten_kriegsverbrechen_stoppen.htm "